Ein Echoraum für das Jetzt
Am Tisch der Kartenlegerin: Die Ausstellung “Gegen den Strich” im Künstlerhaus Bethanien feiert die Wiederkehr des Romantischen in der Zeichnung
Die Wildnis und der Kopierer: In den Wäldern und Tälern, die Yehudit Saportas mit Tusche auf sehr große Papierbögen zeichnet, sind die Spuren des einen in das andere geflossen. In Abstufungen von Grau und Schwarz legt sie verschiedene Bildgründe übereinander. Die stärkste Präsenz geht stets von den dichtesten Stellen aus, wo sich Blatt- und Astwerk entfalten; irgendwo weiter in der Tiefe aber nimmt das Hell und Dunkel die Struktur von Barcodes oder den Streifen an, die bei Fehlfunktionen am Kopierer entstehen. Doch so offen Saportas auch mit der Konstruiertheit ihrer Bilder umgeht, verführen sie doch immer wieder, sich mit den Augen im Gestrüpp zu verlieren und das Gemachte zu vergessen.
Es ist dieses Spiel mit verschiedenen Zeithorizonten aus der Geschichte der Wahrnehmung und der Generierung von Bildern, das die vielen Zeichner, die das Künstlerhaus Bethanien in der Ausstellung “Gegen den Strich” zusammengebracht hat, miteinander verbindet. Romantizismus im Computerzeitalter: Wo alles kopiert und gesampelt werden kann, gewinnt die Wiederaneignung durch die eigene Hand eine neue Funktion von Verlangsamung. Mit ihr tritt der Körper wieder ein in den Vorgang des Sehens und Erkennens.
Erla Haraldsdóttir agiert die Konkurrenz der Medien direkt in ihren Arbeiten aus. In einem Film, tricktechnisch beschleunigt, kann man zusehen, wie sie fotografische Vorlagen überzeichnet, die dann wiederum als C-Print ausgestellt sind. Es ist verblüffend, wie sich banale Oberflächen beispielsweise einer Straßenzeile in der Überzeichnung mit Atmosphäre und Geheimnis aufladen. Zudem stecken Haraldsdóttirs Motive voller obskurer Spuren, wie etwa den Tisch einer Kartenlegerin, die ja auch an die Macht der bildlichen Zeichen glaubt. Reste der Fotografie scheinen durch die Überzeichnung durch – und wirken, statt das Bild zu beglaubigen, fremd und unwirklich.
Yehudit Saportas stammt aus Israel, Erla Haraldsdóttir aus Island, beide leben und arbeiten inzwischen auch, aber nicht nur in Berlin. So wie fast alle der 20 beteiligten Künstler, von denen einige als Stipendiaten des Künstlerhauses Bethanien nach Berlin kamen: aus Lissabon zum Beispiel vor zwei Jahren Jorge Queiroz, der schwarzweiße und farbige Partien in seinen Werken miteinander verschränkt und mit Bleistift, Pastellkreiden, Ölfarben und Kohle auf kleinen Blättern arbeitet. Seine Bilder sind die abstraktesten der Ausstellung und trotzdem auch die mit der höchsten Dramatik. Alles ist bei ihm Ereignis: wie sich Formen und Malweisen angreifen, wie sich Gegenständliches durchkämpft und weggewischt wird und sich Striche gegen Flächen wehren.
Dass man die Kunstgeschichte kennt und im Griff hat, zeigt Queiroz (geboren 1966) auch in seinem Spiel mit Malweisen und der Expressivität des Strichs. Für die meisten, erst in den Siebzigern geborenen Künstler spielt dagegen auch das gegenständliche Motiv als Anker in historischen Horizonten eine große Rolle: Seien es Popzitate bei Abetz/Drescher, die Maler des Jugendstils und Fin de Siècle bei Marc Bauer und Iris von Dongen, oder alte Schwarzweißfilme bei Adriana Molder. Sie alle nutzen die Geschichte als gewaltigen Echoraum für etwas, was aus ihrer Gegenwart kommt.
Die Kuratoren der Ausstellung, Christian A. Schindler, Valeria Schulte-Fischedick und Christoph Tannert, sehen darin nicht nur einen “ins Dandyhafte gehenden Ästhetizismus” am Werk, sondern auch eine “Abstandsposition zur Vergötzung der Neuen Medien”. Und in der Tat: Politische Kunst ist das alles sicher nicht, und doch lässt sich aus dem Umgang mit den Bildwelten und Zeichencodes meistens so etwas wie Haltung herauslesen. Sie hat auf der einen Seite etwas mit dem kritischen Bewusstsein gegenüber der Verschwendung von Ressourcen zu tun: Alles steht zur Verfügung, aber was genutzt wird, wird auch ernst und genau genommen in seiner Verortung im kulturellen und sozialen Milieu. Auf der anderen Seite setzt die Bereitschaft, sich zu verlieren in abgelegenen Bildwelten, zu denen auch okkulte und mystische Ecken gehören, Gelassenheit voraus. Nicht zuletzt Gelassenheit gegenüber dem Druck, sich schnell zu vermarkten und zu labeln.