Des Ratzefummels
„Seduce, seduce“, singt eine zerbrechliche Frauenstimme in der Videoinstallation von Erla Haraldsdóttir, während die Kamera traumverloren durch südamerikanische Straßen schwebt, um am Tisch einer Wahrsagerin zu landen. Verführung durch das Unbekannte, Schwindelblicke in die Ritzen vermeintlich gesicherter Wahrheiten zeigt die Ausstellung Gegen den Strich im Künstlerhaus Bethanien (bis 15. Juli, Mi bis So 14 – 19 Uhr). Der Titel folgt Joris-Karl Huysmans Roman „A rebours“, der Ende des 19. Jahrhunderts zum Kultbuch der Décadence-Bewegung avancierte. Im passenden sakralen Ambiente der früheren Krankenhauskapelle werden hier Werke vorwiegend in Berlin arbeitender Künstler vorgestellt, die für eine Renaissance der Zeichnung in der Gegenwartskunst stehen. Die elementaren Gestaltungsmittel Papier und Stift laden zur Reflexion über Fragen der Wahrnehmung ein und setzen dem digitalen Perfektionsstreben subjektive Blickweisen entgegen. Bei Yehudit Sasportas, die auch den israelischen Biennale-Pavillon gestaltet hat, durchbrechen großformatige Landschaftspanoramen nach Art japanischer Tuschemalerei Barcodes, die Gitterstäbe der Digitalität. Andere bedienen sich am postmodernen Bilderschatz und beziehen sich auf Symbolismus, Barock und Gothic-Kunst. Erfrischend Debbie Han, die sich auf elegante Weise Erwartungen nach bildnerischem Ausdruck entzieht: Sie bildet Köpfe griechischer Statuen ab – mit Radiergummibröseln. Hier wird nicht die reine Form vom Abfall befreit, der Abfall selbst bildet die Form. Ein ganz eigener Vanitas-Kommentar. Kolja Reichert